Es war schon der Traum des modernen Gründers der Muslimbrüder, Hassan al-Banna (1906-1949), einen Staat zu gründen, der die Erfordernisse der Moderne mit den Geboten des Islam vereint. Als Teil einer islamischen Reformbewegung sollten auch die Muslime möglichst schnell über die neuen Techniken der Macht verfügen. Beeindruckt war die Bewegung, die bis heute die Geschichte Ägyptens mitbestimmt, vom absoluten «Willen zur Macht» der Kolonialmächte, ihren technologisch ausgebauten Staaten und auch ihren neuen global angelegten Finanzinstrumenten: den Banken. Souveräne Staaten, der «Scharia» unterworfen, sollten nach der politischen Philosophie der Muslimbrüder die islamische Welt von der Fremdbestimmtheit befreien.
Seit den Gründungszeiten der Bewegung blieb die Macht aber ein unerreichbares Ziel. Schon in den 1950er und 1960er Jahren warf das nationalistische Nasser Regime die Brüder massenweise ins Gefängnis. Mit der Figur Said Qutb (1906-1966) fand sich ein Denker, der zudem die Grundideen der Bewegung weiter ideologisierte. In seinen Büchern prangerte er die «Verwestlichung» der arabische Regime an und forderte auch das gewalttätige Engagement der Muslime gegen diese Herrschaft. Seine Exekution 1966 ist nach wie vor ein Meilenstein für die Historie der Bewegung. Einige seiner Schüler – viele auf der Flucht – verbanden seine Lehre nun mit den globalen, explosiven Ambitionen des Salafismus und Wahhabismus.
Seit diesen Tagen hat sich der «politische» Islam in unterschiedliche Fraktionen aufgespalten – in ihrem islamischen Rechtsverständnis flexibel und in ihrer islamischen Haltung von esoterisch, über moderat bis hin zu extremistisch unterschieden. Bis heute wurzelt das Misstrauen gegen die Muslimbruderschaft in den unterschiedlichen Strömungen, die auf unterschiedliche Weise mit der Gründungszeit verbunden sind. Seit 1980 versucht beispielsweise der in Qatar ansässige Yusuf al-Qaradawi aus der Muslimbruderschaft eine regierungsfähige, teilweise moderate und auch anti-jihadistische Parteiung zu bilden. Allerdings fiel dem Prediger nicht ein, die im Islam verpönten Selbstmordattentate der Palästinenser klar zu verurteilen und so bildete auch er die gefährliche Grundlage für eine Art «islamisches» Ausnahmerecht.
Natürlich gab es auch in den letzten Jahren immer wieder inner-islamische Kritik an der Bewegung, bis hin zur skeptischen Frage ob “der politische Islam in den Bürgerkrieg führe”. Gleichzeitig gab es aber auch Hoffnung, dass die muslimischen Politiker, die auch in harten Zeiten zu ihrem Glauben hielten, eine andere, weniger korruptionsanfällige Politik für Ägypten gestalten könnten. Die Regierung Mursi stand zunächst vor etwas mehr als einem Jahr für diesen gewagten Feldversuch.
Das durch Inflation, Schulden und Wirtschaftskrisen gebeutelte Land, mit samt seinen jahrzehntelangen autoritären Strukturen, war aber durch die Politamateure der Muslimbruderschaft kaum schnell zu reformieren, geschweige denn zu demokratisieren. Absurderweise musste Mursi in Berlin oder Paris – ganz im Gegensatz zum alten «Freund» Mubarak – sich kurz nach seiner Amtsübernahme Vorträge über demokratische Prinzipien anhören. Die Golfmonarchien – immer dem Vorwurf der Korruption ausgesetzt, aber aus der islamischen Tradition durchaus mit Legitimität ausgestattet – opponierten geschickt gegen die Revoluzzer aus Kairo. Sie fürchteten, bei einem Siegeszug der Brüder, könnte die arabische Idee der Wiedervereinigung bedrohliche Züge annehmen. – Zum Weiterlesen –